Wir brauchen kein grün angepinseltes Weiter-so, sondern müssen jetzt endlich unser Leben entrümpeln und entschleunigen.
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Welche Reaktionen würde wohl die Ankündigung eines Automobilherstellers auslösen, demnächst ein Fahrzeug ohne Rückwärtsgang und Bremse produzieren zu wollen? Vermutlich Gelächter. Oder Kopfschütteln. Komisch, dass eine solche Reaktion nicht auch den meisten Ökonomen und Wirtschaftspolitikern entgegengebracht wird. Denn dieselbe Absurdität liegt dem üblichen volkswirtschaftlichen Denken zugrunde; mehr noch: Das ganze Entwicklungsschema moderner Gesellschaften basiert auf der Grundannahme, Fortschritt sei ausschließlich ein Akt der Addition und nur bei ständigem Wachstum möglich.
Selbst die Nachhaltigkeitsdiskussion kurvt in diesem Fahrwasser. Dank technischer Innovationen, so das ständig rezitierte Mantra, könne man Wirtschaftswachstum von Ressourcenverbrauch und Umweltschäden abkoppeln. Die Bündnisgrünen ziehen mit einem "Green New Deal" in den Wahlkampf: Anstrengungen etwa im Klimaschutz – so ihr Versprechen – würden die deutsche Industrie auf wachsenden Zukunftsmärkten positionieren. Doch eine solche Nachhaltigkeitsdiskussion immunisiert die vorherrschenden Lebensstile gegen jede Mäßigung. Nicht das exzessive Wechselspiel zwischen Fremdversorgung und Selbstverwirklichung als solches wird hinterfragt, sondern nur dessen Objekte – der Durst nach immer mehr soll künftig bloß durch "bessere" Produkte oder Dienstleistungen befriedigt werden. So wird sogar die Nachhaltigkeit zu einem Wachstumsstimulus, denn irgendetwas findet sich immer, das durch additive Maßnahmen zu reparieren oder zu verbessern wäre – und wenn es die Umwelt ist... Aber diese Rechnung geht nicht mehr auf. Warum?
Eine Entkoppelung von wirtschaftlichem, in Geld gemessenem Wachstum und Ressourcenverbrauch ist schlicht und einfach nicht in Sicht. Der Grund ist das, was Experten "Bumerangeffekt" oder "Reboundeffekt" nennen: Einsparungen beim Material- oder Energieverbrauch bei der Herstellung eines Produkts werden regelmäßig dadurch (über-)kompensiert, das die Gesamtzahl der produzierten Güter steigt. Forschungen beispielsweise des renommierten Global Carbon Project belegen zweierlei: Erstens sorgte selbst in Phasen während der 80er- und 90er-Jahre, in denen eine leichte Entkoppelung feststellbar war, ökonomisches Wachstum dafür, dass die globalen CO2-Emissionen permanent zunahmen. Und zweitens steigt die CO2-Intensität der Wertschöpfung im weltweiten Maßstab neuerdings sogar wieder an!
In der sogenannten Glücksforschung gilt es mittlerweile als bewiesen, dass eine Steigerung des materiellen Reichtums ab einem bestimmten Niveau das subjektive Wohlbefinden nicht weiter erhöht. Gerade in den Industrieländern sind viele Konsumaktivitäten nur noch symbolischer Art, sie zielen auf soziales Prestige und sollen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder "Szene" sicherstellen. Die Industrie schafft ständig neue Angebote der Selbstinszenierung, die - durch Werbung angefeuert - von Pionieren aufgegriffen werden. Wer dabei nicht mitzieht, verliert den Anschluss und riskiert den Ausschluss, etwas im Kreise von Kollegen und Nachbarn. Folglich ist ein immer höherer Konsumaufwand nötig, um die soziale Integration zu verteidigen. Weil die Zahl der Konsumoptionen geradezu explodiert, der Tag aber nach wie vor nur 24 Stunden hat, wird die minimal erforderliche Zeit zum Ausschöpfen konsumtiver Optionen zum Engpassfaktor – der Genuss am jeweils Neuen wird immer kürzer. So kommt es zu ständig expandierendem Konsum bei stagnierendem Glück.
Auch die ökonomischen Grundlagen des Wachstums erodieren, weil dem Wohlstandsapparat der Treibstoff ausgeht. Die westlichen Konsumgesellschaften basierten nie auf etwas anderem als der unbegrenzten Verfügbarkeit fossiler Energieträger bei minimalen Kosten. Dieser Grundirrtum unseres Lebensstils wird offensichtlich und für die ganze Welt bedrohlich, seit die globale Mittelschicht um circa 1,2 Milliarden "neue Konsumenten" in Aufsteigernationen wie China oder Indien gewachsen ist. Nun explodieren die ökologischen Kosten, die Begrenztheit der Ressourcen wird für alle zum Problem. Was vor kurzem noch "Peak Oil" hieß, hat sich zum "Peak Everything" gemausert.
Der Weg in eine bescheidenere, aber krisensichere Versorgung durchläuft fünf Stationen.
Erstens geht es darum, unser Leben zu entrümpeln und zu entschleunigen. Pures Auswechseln bisheriger Konsumlösungen gegen vermeintlich nachhaltigere Varianten reicht nicht im Entferntesten. Nur eine Rückführung von Konsumansprüchen auf ein Niveau, das wirklich nachhaltig befriedigt werden kann, bietet Lösungen. Das neue Ziel ist Suffizienz (von lat. sufficere – genügen, ausreichen). Erstrebt werden sollte nicht mehr eine Steigerung von Güterwohlstand und Komfort. Gestellt werden Fragen wie diese: Von welchen Energiesklaven, Konsum- und Komfortkrücken kann ich mich (und die Gesellschaft als Ganzes sich) befreien? Ist es nicht ökonomische Logik in Reinform, jenen Ballast abzuwerfen, der Zeit, Geld, Raum und ökologische Ressourcen beansprucht, aber nur minimalen Nutzen stiftet?
Zweitens wird eine neue Balance zwischen Selbst- und Fremdversorgung benötigt. Das jetzige Konsummodell der Globalisierung ist dauerhaft nicht finanzierbar. Wer sich davon abhängig macht, Waren des täglichen Bedarfs von anderen zu kaufen, muss damit rechnen, zum "Globalisierungsopfer" zu werden, wenn die Geld speiende Wachstumsmaschine ins Stocken gerät, Preise steigen, Löhne sinken oder Firmen schließen. Sozial stabiler sind Versorgungsstrukturen mit geringer Distanz zwischen Verbrauch und Produktion. Dazu zählen die Reaktivierung von Kompetenzen, manuell oder kraft eigener Fertigkeiten Bedürfnisse ohne kommerzielle Märkte zu befriedigen. Zur praktischen Umsetzung dieser Einsicht gibt es viele Ansätze: Verkürzung der (Lohn-)Arbeitszeit zur Steigerung der Eigenversorgung, Community-Gärten, Tauschringe, Netzwerke der Nachbarschaftshilfe, Verschenkmärkte, Einrichtungen zur Gemeinschaftsnutzung von Geräten/Werkzeugen – all diese würde zu einer graduellen De-Globalisierung verhelfen und am Ende auch weniger Energie und Ressourcen verbrauchen. Salopp gesagt: Wir müssen Produkte länger nutzen, sie reparieren und pflegen und sie lieber gebraucht kaufen als neu. Wir müssen Knöpfe selber annähen und Fahrräder eigenhändig reparieren – und wieso soll das eigentlich keinen Spaß machen?
Daran knüpft Punkt drei an, eine stärkere Regionalökonomie: Viele Bedürfnisse ließen sich auch durch regionale Märkte und verkürzte Wertschöpfungsketten befriedigen. Regionalwährungen könnten Kaufkraft an die Region binden und damit von globalisierten Transaktionen abkoppeln. So würden die Effizienzvorteile einer geldbasierten Arbeitsteilung weiterhin genutzt, aber innerhalb eines ökologieverträglicheren und krisenresistenteren Rahmens.
Viertens: Auch wenn alle Potenziale an Suffizienz, Selbst- und Regionalversorgung ausgeschöpft sind, verbleiben Konsumansprüche, die sich nur mittels industriell und arbeitsteilig produzierter Güter befriedigen lassen. Das hierfür benötigte Industriesystem aber wäre nicht lediglich kleiner als das heutige, sondern müsste ebenso wie unser Leber deutlich entschleunigt werden: Produkte und Infrastrukturen könnten durch Nutzungsdauerverlängerung oder Nutzungsintensivierung so optimiert werden, dass ohne zusätzliche materielle Produktion Werte geschaffen werden.
Fünftens sind grundsätzliche institutionelle Maßnahmen nötig, nämlich zunächst eine Boden- und Geldreform, mit denen die jetzigen systemimmanenten Wachstumszwänge des Kapitalismus gemildert werden. Die erwähnten Regionalwährungen könnten mit einer zinslosen Umlaufsicherung versehen werden - so entfiele der Zwang, dass jede Investition immer mehr Geld zu erwirtschaften hat als eingesetzt wird. Sinnvoll wäre es auch, den Ausstoß an Treibhausgasen staatlich zu begrenzen und auf die Individuen umzulegen: Jede Person hätte ein Anrecht auf dasselbe Emissionskontingent, Guthaben und Schulden auf solchen CO2-Konten können untereinander transferiert werden.
Sie halten das für Fantasterei oder ferne Zukunftsmusik? Mal schauen. Das gegenwärtige Modell einer Wachstumsökonomie wird jedenfalls in zehn bis zwanzig Jahren unsausweichlich an seine Grenzen stoßen.
Dieser Artikel wurde erstmals im Greenpeace Magazin 5.09 veröffentlicht.
Ich danke dem Greenpeace Magazin für die freundliche Abdruckgenehmigung!