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Seit einiger Zeit versuche ich, freier zu arbeiten. Vielleicht sieben Stunden lang an einem Tag, am nächsten nur drei und dann – wenn ich so richtig mit Energie in ein Projekt eingetaucht bin – möglicherweise 12 oder 13 Stunden. Das wär’ was, das würde mir Freude machen. Und warum auch nicht? Ich leite einen Verlag und kann mir meine Zeit frei einteilen.
Doch es gelingt mir nicht. Nur manchmal, zäh, schwer und schleppend.
Verbringe ich weniger als sechs Stunden im Büro rufe ich mich zur Ordnung: „Du hast heute nicht genug geschafft. Das musst du an den kommenden Tagen nachholen!“ Und werden es mehr als neun Stunden wir meine innere Stimme ebenfalls lauter: „Geh nach Hause, mach frei, genieße deinen Feierabend. Arbeite doch nicht so viel!“
Absurd finde ich das Ganze, denn ich arbeite meist dann viel, wenn es Sinn macht oder wenn es mir Freude bereitet. Das ist keinesfalls weniger erfreulich als meine „Freizeit“. Und wenn ich an einem Tag mal so gar nicht ins Arbeiten hineinfinde, wäre es besser, ich ginge an die Orte, die mich derart aus dem Gleichgewicht bringen. Denn meist gibt es aktive Themen die mich davon abhalten, mit Konzentration und Hingabe bei der Sache zu sein. Und sei es, dass es einfach nur mal ansteht, in der Saune diese krampfige Angetriebenheit hinter mir zu lassen, um dann mit neuer Kraft zu Werke zu gehen.
Doch die Macht der Gewohnheit ist stark. Sie hält mich im jahrzehntelang eingeübten Fahrwasser, ganz gleich wie sinnvoll oder sinnlos es sein mag. Manchmal ärgert es mich, doch noch mehr erstaunt es mich meist, wie stark diese Gewohnheiten in mir verankert sind.
Die gesellschaftlich definierten Konventionen sind wie ein starkes Kraftfeld.
Es braucht Geduld, Disziplin und jahrelanges Training, sich ins eigene Fahrwasser zu manövrieren, sodass man auch gegen die Strömung mit minimaler Anstrengung im Fluss bleiben kann. Dranzubleiben, ohne eine große Sache daraus zu machen – das ist die Kunst.