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Sich für die Welt entscheiden

Eine unbeschreiblich schöne Welt     Foto © Nasa

Niemand hat mich vorher gefragt, ob ich 1915 geboren werden wollte, so dass ich zum Zeitgenossen von Auschwitz, Hiroshima, dem Vietnamkrieg und den Rassenunruhen von Watts geworden bin. Und doch sind das Ereignisse, in die ich, ob ich es will oder nicht, zutiefst und persönlich involviert bin. Die „Welt“ ist nicht nur ein physikalischer Raum, der von Düsenflugzeugen durchmessen wird und der voller Menschen ist, die in alle Richtungen rennen. Sie ist ein Komplex von Verantwortlichkeiten und Optionen, der sich aus der Liebe, dem Hass, den Ängsten, Freuden, Hoffnungen, der Gier, Grausamkeit, Freundlichkeit, dem Glauben, Vertrauen und Misstrauen aller zusammensetzt.

Wenn es Krieg gibt, weil niemand mehr irgendjemandem traut, dann liegt das in der letzten Konsequenz daran, dass ich selbst defensiv, argwöhnisch, misstrauisch und darauf aus bin, andere Menschen dazu zu bringen, sich meiner speziellen Art der Todessehnsucht anzugleichen.

 
Wenn ich auch nicht die Wahl hatte, in welchem Zeitalter ich leben wollte, so habe ich nichtsdestoweniger eine Wahl, wie ich zu den Ereignissen dieses Zeitalters stehe und wie und in welchem Ausmaß ich daran teilhaben will. Mich für die Welt zu entscheiden, ist deshalb nicht nur ein frommes Eingeständnis, dass sie annehmbar ist, weil sie aus Gottes Hand kommt. Es ist zuerst einmal das Annehmen einer Aufgabe und Berufung in der Welt, in der Geschichte und in der Zeit. In meiner Zeit, nämlich der Gegenwart. Mich für die Welt zu entscheiden, bedeutet, mich dafür zu entscheiden, die Arbeit zu tun, die zu leisten ich fähig bin, und diese Welt in Zusammenarbeit mit meinem Bruder und meiner Schwester besser, freier, gerechter, menschlicher zu machen. Und wie inzwischen auf durchsichtigste Weise offensichtlich geworden ist, ist ein bloßes automatisches „Abtun der Welt“ und eine „Verachtung der Welt“ in der Tat keine mögliche Entscheidung, sondern die Flucht vor einer Entscheidung. Der Mensch, der so tut, als könne er Auschwitz oder dem Vietnamkrieg den Rücken zukehren und so tun, als gäbe es sie nicht, der blufft einfach nur.

 
Der Mensch hat eine Verantwortung gegenüber seiner Zeit; es ist ihm nicht gestattet, scheinbar außerhalb von ihr zu stehen, um ihr aus einer Position mitfühlender Distanz diverse spirituelle und materielle Gaben zu spenden. Der Mensch hat die Verantwortung, sich dort vorzufinden, wo er ist, in seiner jeweils eigenen Zeit und an seinem eigenen Ort, in der Geschichte, zu der er gehört und zu der er unausweichlich etwas beizutragen hat – entweder seine Antwort oder sein Ausweichen, entweder Wahrheit und Engagement oder bloße Worthülsen und Gesten.
 

Dieser Beitrag ist Thomas Mertons Buch "Sich für die Welt entscheiden" entnommen, das im Arbor Verlag erschienen ist.