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Ich lebe ohne Geld – und mir geht’s recht gut

Mark Boyle mit Äpfeln

Mark Boyle mit Äpfeln     Foto © Mark Boyle

Sechs Jahre lang habe ich Wirtschaftswissenschaften studiert und nicht ein Mal das Wort "Ökologie" gehört. Wenn ich nicht durch Zufall in der Endphase meines Studiums ein Video Namens "Gandhi" gekauft hätte, wäre für mein Auskommen gesorgt gewesen. Zum Beispiel in einem sehr angesehenen Job, in dem ich indische Bauern davon überzeuge, dass es besser ist genmanipulierte Saaten anzubauen – oder irgend etwas anderes Nützliches in der Art.
Der kleine Bursche im Leinengewand hat mir allerdings eine wichtige Lektion erteilt: "Sei du der Wandel, den du in der Welt suchst." Blöd war nur, dass ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was dieser Wandel sein sollte.

Nachdem ich einige Biolebensmittel-Firmen geleitet hatte, wurde mir klar, dass selbst "ethisches Business" niemals nur annähernd ausreichen würde. Ein nachmittägliches Herumphilosophieren mit einem Kumpel brachte dann die große Wende.

Wir schauten auf die großen Weltthemen – Umweltzerstörung, ausbeuterische Wirtschaftsbeziehungen, industrielle Landwirtschaft, Kriege um Ressourcen – und fragten uns, welchem dieser Themen wir unsere Leben widmen sollten. Aber ich erkannte, dass ich auf die selbe Art und Weise auf die Welt schaute, wie ein westlicher Arzt auf seine Patienten – Symptome erkennend und sich fragend, wie man sie eindämmen kann, ohne jeden Gedanken an die zugrundeliegenden Ursachen zu verschwenden. So entschied ich mich, ein sozialer Homöopath zu werden, die Initiative ergreifend, zu den Wurzeln der Symptome vorzudringen.

Eine der kritischen Grundlagen der Symptome ist die Tatsache, dass wir die Auswirkungen nicht mehr zu Gesicht bekommen, die unsere Käufe für die Menschen, die Umwelt und die Tiere haben. Die Abtrennung von Käufer und Gekauftem hat ein solches Ausmaß angenommen, dass wir kaum mehr ahnen, in welchem Umfang Zerstörung und Leid in den Krempel eingeschrieben sind, den wir kaufen. Das Werkzeug, das diese Abtrennung ermöglicht hat, ist das Geld.
Wenn wir unsere eigenen Nahrung anbauten, würden wir nicht – wie wir es heute tun – ein Drittel davon vergeuden. Wenn wir unsere eigenen Tische und Stühle herstellten, würden wir sie nicht in dem Moment rauswerfen, in dem wir die Innenraumgestaltung ändern. Wenn wir unser eigenes Trinkwasser reinigen müssten, würden wir es wahrscheinlich nicht verschmutzen.

Der Wandel zu sein, den ich in der Welt sehen wollte, bedeutete also leider, den Umgang mit Geld aufzugeben. Zunächst entschied ich mich, dies ein Jahr lang zu tun. Ich besorgte mir einen Wohnwagen, parkte ihn auf einem Biohof auf dem ich gerade als freiwilliger Helfer arbeitete und stattet ihn für ein Leben jenseits des Stromnetzes aus. Kochen fand nun draußen statt, ob es regnete oder die Sonne schien, auf einem Kanonenofen. Handy und Laptop wurden von Solarstrom gespeist; für das Beheizen meiner schlichten Behausung nutze ich Holz, das beim Ausdünnen des Unterholzes anfiel oder das ich ganz einfach fand, und es gab ein Kompostklo.

Nahrungsmittel waren der nächste wesentliche Punkt. Das "Tischlein-deck-dich" der kostenfreien Versorgung mit Lebensmitteln steht auf vier Beinen: wild wachsende Pflanzen sammeln, eigene Nahrungsmittel anbauen, Tauschhandel und die Nutzung von für die Vernichtung bestimmter Lebensmittel – von denen es eine Unmenge gibt. An meinem ersten Tag bewirtete ich 150 Menschen mit einem Drei-Gang-Menü mit zusammengesuchten oder der Vernichtung entrissenen Lebensmitteln. Die meiste Zeit des Jahres aß ich allerdings Lebensmittel, die ich selbst angebaut hatte.

Um herumzukommen hatte ich ein Fahrrad und einen Anhänger, und die 55-Kilometer-Rundfahrt in die Stadt war mit einem Mal so wertvoll wie eine Mitgliedschaft im Fitnesscenter. Für das Klopapier befreite ich den örtlichen Zeitungshändler von einigen seiner alten Zeitungen (einmal wischte ich mir den Hintern mit einer Geschichte über mich selbst ab); es ist nicht doppellagig, aber ich gewöhnte mich schnell daran. Als Zahnpasta benutzte ich Sepia-Schalen, die ich mit Fenchelsamen aufgekocht hatte, etwas sonderbar für einen Veganer.

Was habe ich gelernt? Dass Freundschaft und nicht Geld wahre Sicherheit bringt. Dass die größte Armut hier im Westen spiritueller Art ist. Dass Unabhängigkeit in Wahrheit der wechselseitigen Abhängigkeit bedarf. Und dass, wenn du keinen Plasma-Bildschirm-Fernseher besitzt, die Leute denken, dass du ein Extremist bist.

Ich werde oft gefragt, was ich aus meinem alten Leben vermisse, das dem Gelderwerb und Business gewidmet war, voll Stress, Staus, Bankauszügen und Verbrauchsabrechnungen.
Naja, das abendliche Bier mit meinen Kumpels, unten im Pub, das vermisse ich schon.

Mark Boyle ist der Gründer der »Freeconomy Community«. Sein Artikel erschien erstmals im Guardian.

Übersetzung: Dirk Henn. Ich danke Mark Boyle für die freundliche Erlaubnis, den Artikel abzudrucken und ins Deutsche zu übertragen.

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